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Unkenntnis, Tabuisierung und Rationierung bestimmen den Umgang mit dieser heimtückischen Krankheit. Nach Ansicht von Berliner Experten ist die Versorgung der Patienten in Deutschland völlig unzureichend. «Der Gedächtnisverlust wird häufig auf das Alter geschoben», beklagt die Professorin Elisabeth Steinhagen-Thiessen von der Charité und Chefin des Evangelischen Geriatriezentrums Berlin. Obwohl es standardisierte Diagnoseverfahren gebe, würden Demenzen immer noch zu selten und vor allem zu spät erkannt. In der Regel vergehen bis zur Diagnose drei bis vier Jahre.
Ein Problem ist, dass die Patienten zunächst meist nicht auffallen. «Sie kommen mit ihren Beschwerden nicht in ein Krankenhaus wie jemand, der sich ein Bein gebrochen hat», betont Steinhagen-Thiessen. Oft werden die Betroffenen nur durch Zufall entdeckt, wenn sie zum Beispiel wegen eines Schlaganfalls längere Zeit in einer Klinik behandelt werden. «Eigentlich müsste der Hausarzt, der seine Patienten am besten kennt, die Defizite bemerken», sagt sie. Mit einfachen Tests könnte er Gedächtnis, Sprach- und Reaktionsvermögen überprüfen. Für die sich anschließenden Untersuchungen sollte ein kompetenter Facharzt hinzugezogen werden. Dies passiere leider viel zu selten.
In Deutschland leiden fast eine Million Menschen an demenziellen Erkrankungen. Bis zum Jahr 2030 rechnen Experten auf Grund der Bevölkerungsentwicklung mit einer Verdopplung. «Die Menschen werden heute immer älter. Damit steigt auch die Zahl der Patienten», sagt die Expertin. Alzheimer, vor mehr als 90 Jahren erstmals vom Nervenarzt Alois Alzheimer beschrieben, ist eine Erkrankung des Alters. Über 95 Prozent aller Fälle treten erst nach dem Rentenalter auf. Jenseits der 85 ist jeder Vierte betroffen. In seltenen Fällen kann Alzheimer auch Menschen um das 50. Lebensjahr treffen.
Seit 1985 werden auch hier zu Lande zunehmend Gedächtnissprechstunden und Memory-Kliniken eröffnet. Obwohl eine Übersicht des Alzheimerforums mittlerweile 57 Einrichtungen ausweist, reicht das Angebot nicht aus. Zudem bieten nur die wenigsten eine umfassende Offerte von Diagnostik und erhaltener Rehabilitation. Alzheimer sei zwar noch nicht heilbar, betont Neuropsychologe Gernot Lämmler vom Evangelischen Geriatriezentrum. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen könne aber der Verlauf der Krankheit zu Gunsten des Patienten günstig beeinflusst werden. Dazu gehören neben Medikamenten auch Angehörigenschulungen sowie Sozial- und Psychotherapie. Durch das Trainieren bestimmter Tätigkeiten kann die Alltagskompetenz möglichst lange erhalten bleiben.
Nach Ansicht des Gesundheitswissenschaftlers Johannes Hallauer von der Berliner Charité wird sich die Situation durch den enormen Kostendruck im Gesundheitswesen weiter verschärfen. Schon jetzt würden nur 10 bis 15 Prozent der Patienten mit so genannten Acetylcholinesterase-Hemmern behandelt, obwohl bekannt sei, dass sie das Fortschreiten der Erkrankung verzögern können. Aus Angst, ihr Budget zu überschreiten, verweigerten einige niedergelassene Ärzte ihren Patienten die Therapie. Dies sei «kriminell».
Medizinische Forschungen haben im Gehirn von Alzheimer-Patienten einen Mangel an der Substanz Acetylcholin festgestellt. Dieser Botenstoff ist maßgeblich an der Signalübertragung zwischen den Nervenzellen beteiligt. Er wird durch das Enzym Acetylcholinesterase abgebaut. Steht davon zu wenig zur Verfügung, wird der Informationsfluss im Gehirn gebremst. Die neuen Medikamente hemmen diesen Abbau. «Bei 60 Prozent der Patienten im frühen und mittleren Stadium kann die Erkrankung um ein Jahr aufgehalten werden», sagt Frau Steinhagen-Thiessen. Dies bedeute auch weniger Pflege und damit weniger Kosten. Die neuen Medikamente kosten pro Tag und Patient sechs Mark, herkömmliche zwei Mark.
Nach Darstellung der Experten kommen die gesetzlichen Krankenkassen ihrem Auftrag nicht mehr nach. Wie man einem Herzkranken nicht den Bypass verweigere, dürfe man auch einem Alzheimer-Kranken nicht wichtige Medikamente vorenthalten. «Alzheimer-Patienten haben keine Lobby», bedauert die Klinikchefin. Sie selbst können nicht aufschreien. Und ihre Angehörigen sind durch die Last des Leidens oft selbst am Ende.
Quelle: Red-Dienst/ Berlin (ddp)
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