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Der Status der Selbstständigkeit von freien Mitarbeitern war schon immer etwas umstritten und abhängig von vielen einzelnen Faktoren. Durch den Beschluss des LSG ist aber eine neue Situation eingetreten, die das Risiko unberechenbar macht. Das Risiko für die Praxisinhaberin besteht darin, dass sie im Zweifelsfall bis zu fünf Jahre Sozialversicherungsbeiträge für die freien Mitarbeiter nachzahlen muss. Im Fall der betroffenen bayrischen Praxis sind das insgesamt fast 50.000 Euro für zwei freie Mitarbeiter, also durchschnittlich ca. 20.000-25.000 Euro pro freie Mitarbeiterin.
Was hat sich durch den Beschluss des LSG München geändert?
Bisher wurde der Status einer freien Mitarbeiterin anhand von üblichen Kriterien einer Selbstständigen beurteilt. Das LSG München hat mit einer verblüffend einfachen und nachvollziehbaren Argumentation die Selbstständigkeit der freien Mitarbeiterin gekippt: Dadurch, dass die Praxisinhaberin gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungen als Verantwortliche zeichnet, mit Rahmenvertrag, Stempel und Unterschrift, kann sie die Verantwortung an niemand anderen delegieren. Sie darf zur Behandlung der Rezepte zwar die Hilfe von Mitarbeitern in Anspruch nehmen, verantwortlich und weisungsbefugt ist und bleibt aber immer die Praxisinhaberin. Die Konstruktion einer freien Mitarbeiterin beruht aber u.a. auf ihrer Weisungsunabhängigkeit. Nach Ansicht des LSG steht das aber im Widerspruch zu den Vereinbarungen mit den Krankenkassen, wonach die Praxisinhaberin immer verantwortlich ist und weisungsbefugt sein muss, auch gegenüber der freien Mitarbeiterin. Damit ist die freie Mitarbeiterin nicht mehr selbstständig.
Das ist ein neuer Aspekt, der in den bisherigen Urteilen so nicht berücksichtigt wurde. Sollte diese Sichtweise Bestand haben, können freie Mitarbeiter nicht mehr in einer üblichen Praxis arbeiten.
Wen betrifft es?
Es ist anzunehmen, dass die DRV sowie deren Betriebsprüfer sich diesen Beschluss sehr genau durchlesen werden und bei der nächsten Gelegenheit mit dieser Argumentation Sozialversicherungsbeiträge für die freien Mitarbeiter von der Praxisinhaberin einfordern werden. Es betrifft also alle Praxen, bei denen in den letzten Jahren freie Mitarbeiter gesetzlich versicherte Patienten behandelt haben. Allen diesen Praxen kann das gleiche Schicksal blühen.
Das Verfahren ist doch noch gar nicht abgeschlossen?
Leider ist das unerheblich. Falls die DRV z.B. bei einer Betriebsprüfung zum gleichen Ergebnis kommen sollte, muss die Praxisinhaberin diese Forderungen unverzüglich begleichen. Dagegen kann man Einspruch einlegen, was ja im o.a. Fall leider nicht zum erwünschten Ergebnis geführt hat. Das bedeutet, dass jede betroffene Praxis heute damit rechnen muss, für jede freie Mitarbeiterin für die letzten Jahre diese Beiträge sofort zu begleichen - völlig unabhängig von einer möglichen späteren Entscheidung eines Gerichts.
Eines Tages wird es vielleicht ein Urteil eines Gerichts in dieser Angelegenheit geben. Der Ausgang ist wie immer bei Gerichtsverfahren ungewiss. Eines aber ist sicher: unabhängig von einem evtl. Urteil in ein paar Jahren, muss die Praxis die Forderung der DRV sofort begleichen. Je nach Gerichtsurteil, erhält sie dann in einigen Jahren die Beiträge zurück - oder auch nicht.
Evtl. Forderungen der DRV sind sofort fällig! Bitte schauen Sie sich Ihren Kontostand an, ob Ihr Konto ausreichend gepolstert ist.
Welche Lösung gibt es?
Es gibt nur eine sichere Lösung, und zwar die, die wir schon seit Jahren anraten: die Statusfeststellung. Wir haben seit Jahren in unseren Seminaren, in unserem Buch als auch auf dieser Seite und in unserem Mustervertrag für freie Mitarbeiter betont, dass eine der Voraussetzungen für eine Vereinbarung mit freien Mitarbeitern die Statusfeststellung sein muss. Heute ist das die einzige sichere Lösung für eine Vereinbarung mit freien Mitarbeitern. Eine Praxisinhaberin sollte auf keinen Fall eine Vereinbarung ohne positive Statusfeststellung mit einer freien Mitarbeiterin unterschreiben.
Wer in der Vergangenheit unseren Rat berücksichtigt hat, kann heute ruhig schlafen.
Was ist eine Statusfeststellung?
Ob jemand als selbstständig oder "scheinselbstständig" (also abhängig beschäftigt) eingestuft wird, hängt von vielen verschiedenen Kriterien ab. Da jeder Fall individuell betrachtet werden muss, bietet die DRV eine Clearingstelle an, damit jede freie Mitarbeiterin vorab klären kann, ob die DRV die Selbstständigkeit anerkennt oder nicht. Dazu gibt es Formulare, die wahrheitsgemäß ausgefüllt werden müssen. Die DRV entscheidet dann verbindlich, ob die freie Mitarbeiterin selbstständig ist oder nicht. Verbindlich heißt: Diese Entscheidung der DRV gilt auch bei jeder späteren Überprüfung. Sowohl die Praxisinhaberin als auch die freie Mitarbeiterin haben damit Gewissheit, dass eine Situation wie oben beschrieben nicht eintreten wird.
Einzige Voraussetzung: Die auf dem Formular eingetragenen Angaben müssen der gelebten Realität entsprechen! Das ist der entscheidende Knackpunkt. Sollten sich die Voraussetzungen, die seinerzeit zur Anerkennung als Selbstständige gemacht wurden, nicht stimmen oder verändert haben, schwebt wieder das Damoklesschwert der Scheinselbstständigkeit!
Die Formulare zur Statusfeststellung können Sie bei der DRV laden:
Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status
Anlage: Beschreibung des Auftragsverhältnisses
Und was ist mit den bisherigen freien Mitarbeitern ohne Statusfeststellung?
Da kann es nur eine Antwort geben: Den Vertrag kündigen und die (ex-)freie Mitarbeiterin anstellen.
Nochmal zum Mitschreiben: Vertrag kündigen und stattdessen anstellen!
Wie bitte?
Ja, es gibt verschiedene andere Stimmen, die Ihnen das sagen, was Sie gerne hören möchten: Keine Panik, alles nicht so schlimm - leider falsch und tendenziell existenzvernichtend. Wie im nächsten Absatz beschrieben, beläuft sich das Risiko auf satte Summen, also zig-Tausend Euro oder mehr. Mit jedem weiteren Tag ohne Handeln wird es mehr. Mit jedem Patienten, den Sie nicht absagen, sondern von einer freien Mitarbeiterin behandeln lassen gehen Sie das Risiko ein, dass Sie ca. 20% mehr zahlen als Sie von der Krankenkasse erstattet bekommen. Wenn die DRV vor der Tür steht und die Nachforderungen stellt, gehen Sie das Risiko ein, dass Sie die Praxis in den Ruin treiben.
Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!
Erklären Sie der freien Mitarbeiterin, dass sie ohne Statusfeststellung keine gesetzlich versicherten Patienten mehr behandeln darf, da Sie als Praxisinhaberin für alle ihre Beiträge gerade stehen müssen. Sollte die DRV bei einer Prüfung dieselbe Argumentation wie oben beschrieben anwenden, wäre sie sowieso Angestellte, ob sie will oder nicht.
Wie groß kann der Schaden sein?
Wenn eine freie Mitarbeiterin nicht als Selbstständige anerkannt wird, wird sie als sogenannte "Scheinselbstständige" eingestuft. Das bedeutet, dass sie für die DRV eine ganz normale Angestellte ist, für die die Arbeitgeberin Sozialversicherungsbeiträge abführen muss. Das sind die gesetzliche Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Davon entfällt ca. die Hälfte auf die Arbeitnehmerin, die andere Hälfte auf die Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin behält bei der Gehaltsauszahlung an die Arbeitnehmerin deren Anteil ein und führt beide Anteile ab. Wenn die DRV nun rückwirkend (bis zu fünf Jahre!) diese Beiträge von der Arbeitgeberin einfordert, muss die Arbeitgeberin wie bei jeder Gehaltsabrechnung beide Anteile begleichen, also sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmeranteile. Aber: sie kann die Arbeitnehmeranteile nicht mehr vom Gehalt der Arbeitnehmerin abziehen, denn das "Gehalt" ist ja längst ausbezahlt (an die ex-freie Mitarbeiterin). Die Arbeitgeberin muss also nicht nur ihren Anteil abführen, sondern auch noch die Arbeitnehmeranteile begleichen!
Hinzu kommt, dass diese ex-freie Mitarbeiterin nun eine normale Angestellte ist mit allen Rechten einer Angestellten wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsansprüchen, Kündigungsschutz, uvm...
Kann die Arbeitgeberin nicht diese Arbeitnehmeranteile nachträglich von der (ehemaligen) freien Mitarbeiterin einfordern?
Nein, kann sie nicht. Die (ehemalige) freie Mitarbeiterin ist nun eine normale Angestellte, und von einer Angestellten kann die Arbeitgeberin maximal aus den letzten drei Monaten Beiträge nachfordern. Die Arbeitgeberin muss also für die letzten Jahre die Sozialversicherungsbeiträge der (ex-)freien Mitarbeiterin begleichen - zusätzlich zu allen Zahlungen, die sie bereits an die (ex-)freie Mitarbeiterin bezahlt hat.
Aber es ist nur ein Beschluss, kein Urteil!
Leider ist das so gut wie egal. Es gibt keinen Zweifel darüber, dass, sollte es zu einem Verfahren kommen, derselbe Fall vom selben Gericht wieder genauso entschieden werden würde. Die Frage ist, ob die Praxis noch genug Geld auf der hohen Kante hat, um diesen Prozess zu finanzieren, um dann vor das Bundessozialgericht zu ziehen - mit ungewissem Ausgang.
Wieso bis zu 5 Jahren nachzahlen, im Gesetz stehen 4 Jahre?
Die Verjährungsfrist für die Forderungen der DRV betragen 4 Jahre ab Jahresende, in dem die Umsätze angefallen sind. Das bedeutet, dass z.B. alle Nachforderungen aus 2010 Ende 2014 verjähren. Da das Jahr 2010 wie gewöhnlich am 1.1. begonnen hat verjähren die Forderungen ab dem 1.1.2010 am 31.12.2014 - das sind 5 Jahre.
Schwarzmalerei: Es könnte sogar noch schlimmer kommen.
Schon klar, zu Ostern den Teufel an die Wand zu malen grenzt an Blasphemie, aber um unserem Bildungsauftrag nachzukommen, scheuen wir auch vor dieser Information nicht zurück. Nicht schön, aber vielleicht hilfreich...
Das wäre der Fall, wenn die Krankenkassen Zugriff auf die entlastenden Argumente der Praxisinhaberin bekommen. Auch die gesetzlichen Krankenkassen schauen in diesem Fall sehr genau hin, und wie manche vielleicht erfahren haben, kennen sie bei Rechtsbrüchen keine Freunde mehr. Sollte die Praxisinhaberin anführen, dass ihre freie Mitarbeiterin völlig weisungsunabhängig therapieren kann, könnte eine Krankenkasse sich genau diese Argumentation der Praxisinhaberin zu eigen machen. Die Praxisinhaberin hat bei der Abrechnung (und mit dem Rahmenvertrag) unterschrieben, dass sie alleine verantwortlich ist. Wenn sie nun z.B. vor Gericht aussagt, dass die freie Mitarbeiterin selbstständig und weisungsunabhängig therapiert hat, wäre das ein Widerspruch und könnte ein Einfallstor für die Krankenkassen für Betrugsvorwürfe sein. Evtl. Rückforderungen der Umsätze der freien Mitarbeiterin wären wohl noch fataler als die Nachforderungen der DRV.
Fazit
Die Situation ist prekär und unschön für alle Praxen, die gute Erfahrungen mit freien Mitarbeitern gemacht haben. Freie Mitarbeiter sind meistens motivierter, flexibler und einsatzbereiter als Angestellte. Unabhängig von den drohenden Altlasten der Vergangenheit, muss jede verantwortungsvolle Praxisinhaberin an die Zukunft denken. Sie muss sicher stellen, dass der Betrieb, der unter Umständen einige Familien ernährt und nicht zuletzt die eigene Existenz, durch Verträgen mit freien Mitarbeitern ruiniert werden könnte. Verträge mit vorhandenen freien Mitarbeitern ohne positive Statusfeststellung sollten unbedingt sofort gekündigt und stattdessen angestellt werden. Wenn diese sich dagegen wehren, sagen Sie lieber Patienten ab, als Ihren eigenen Ruin voranzutreiben. Künftige Verträge mit freien Mitarbeitern sollten auf jeden Fall nur mit positiver Statusfeststellung abgeschlossen werden.
Jeder hätte gerne eine fröhlichere Osterbotschaft verkündet, nicht zuletzt wir!
Frieder Bothner
physio.de
[Anmerkung: da das Thema komplex genug ist, haben wir auf die jeweilige männliche Form verzichtet und vorrangig die weibliche Form verwendet. Das ist nie diskriminierend gemeint, sondern dient nur der einfacheren Lesbarkeit. Natürlich sind immer jeweils ebenfalls Praxisinhaber, Mitarbeiter, Therapeuten, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, usw. gemeint!]
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