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Stiefkind in der Welt der Berufserkrankungen scheinen jedoch die Musiker zu sein. Die Zahl der Musiker mit Erkrankungen ist mittlerweile besonders hoch. Doch wer denkt schon bei einem Pianisten oder Cellisten an eine Berufsunfähigkeit? (Wir berichteten: Musik schmerzt)
"In der Berufsgruppe der Musiker gibt es keine Kultur, großen Wert auf die Gesundheit zu legen", erklärte die australische Forscherin und Physiotherapeutin Dr. Bronwen Ackermann von der University of Sydney. Sie war als Gastreferentin während einer Fortbildung am Institut für angewandte Physiotherapie und Osteopathie (INAP/O) an der Hochschule Osnabrück eingeladen.
Einvernehmlich mit Prof. Dr. Christoff Zalpour, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für angewandte Physiotherapie und Osteopathie (INAP/O) an der Hochschule in Osnabrück, stellte sie fest: "Musiker lernen, die körpereigenen Signale zu überhören."
Ackermann zählt zu den weltweit führenden Physiotherapeutinnen, die sich auf Musiker und deren berufsbedingte Beschwerden spezialisiert haben. Sie sieht enormen physiotherapeutischen Bedarf bei Profimusikern wie beispielsweise Orchesterspielern.
Ein ähnliches Konstrukt ist in Osnabrück erfolgreich umgesetzt worden: Das Institut für Musik der Hochschule Osnabrück ist in demselben Gebäude beheimatet wie das Institut für angewandte Physiotherapie und Osteopathie – somit steht einer erfolgreichen Kombination aus physiotherapeutischer Maßnahme und Musikersprechstunde nichts im Weg.
"Wir haben beide Bereiche in Verbindung gebracht und damit eine einzigartige Nische geschaffen." Wenn es nach Ackermann und Zalpour ginge, würde die Physiotherapie bei Musikern stark erweitert werden. "In Deutschland machen knapp fünf Millionen Menschen Musik - sei es professionell oder als Hobby", erklärt Zalpour. Die Musikerphysiotherapie sollte deshalb als wachsendes Gebiet der Heilmittelberufe gesehen werden: "Und das muss irgendwann auch honoriert werden".
In einer jüngst durchgeführten Studie nahm die University of Sydney acht australische Orchester unter die Lupe. Allein jeder zweite von insgesamt 377 Musikern gab an, aktuell unter Beschwerden wie Schmerzen zu leiden, die länger als eine Woche andauerten. Prozentual gesehen weisen rund 36 Prozent der Studierenden körperliche Beschwerden auf, wie in einer weiteren Untersuchung an drei australischen Konservatorien ergab.
Eine weitere, im letzten Jahr publizierte Studie wurde von Zalpour vorgestellt: In dieser beschäftigten sich Wissenschaftler der Universität in Paderborn mit Musikern aus 135 deutschen Orchestern. Rund 2.500 Fragebögen von Musikern wurden hierzu ausgewertet. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Befragten gab Beschwerden an, davon mehr als 80 Prozent am Bewegungsapparat.
"Jeder Profi-Fußballverein hat einen oder mehrere Physios im Team", erklärte Zalpour hierzu. "Bei Orchestern ist das in der Regel nicht der Fall, obwohl der Bedarf groß ist."
Für einen besseren Einblick in die Orchesterarbeit begleitete Ackermann als Physiotherapeutin das Sydney Symphony Orchestra bei einer einmonatigen Europa-Tournee. Mittlerweile betreut sie zwei weitere Orchester als Therapeutin, um den Musikern zwischen ihren Auftritten die Muskeln zu lockern und die berufsspezifischen Beschwerden zu lindern. "Ich konnte es kaum glauben, dass es für Musiker keinerlei Gesundheitsangebote gab, obwohl ihre Arbeit körperlich so anspruchsvoll ist."
In der Tat scheint die physiotherapeutische Arbeit bei einem Orchester noch etwas exotisch zu sein – doch was bei Sportlern normal ist, könnte sich ja auch in der großen weiten Welt eines Berufsmusikers etablieren.
Dafür müssen sich jedoch die Profimusiker die körperlichen Beschwerden als berufsbedingte Erkrankungen auch eingestehen. Hier sieht die Forscherin Ackermann noch deutlichen Lernbedarf. "Musiker lernen, die körpereigenen Signale zu überhören, weil es mit dem perfekten Spielen – auf das sie ja oft von Kindesbein an hinarbeiten – ein vermeintlich höheres Ziel gibt", ergänzte Zalpour bei der Fortbildung in Osnabrück.
AvB / physio.de
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